10.1.21

Review: Paranoia - 1984 (2007/2020)


Wie so oft blieb ich beim Griff ins Plattenregal mal wieder beim guten alten 80’s-Punk hängen und weil dieses schöne Album im April letzten Jahres wiederveröffentlicht wurde, bietet es sich ja förmlich an mal ein paar Worte darüber zu verlieren. Ob das bei solch alten Sachen nun überhaupt einen Sinn macht, sei mal dahingestellt aber vielleicht erreicht das hier ja irgendwen, der das Re-Release dieses DDR-Klassikers noch nicht auf dem Schirm hatte. Und glücklicherweise kann ich hier ja sowieso machen was ich will.

Kurz zur Band: Paranoia existierten von '83 - '85 und gingen wie auch die Cheruskerfront aus der ersten aktenkundigen Dresdner Punkcombo Rotzjungen hervor. Wenig überraschend war die Band extremer staatlicher Repression ausgesetzt. Nichts mit Spielerlaubnis. Stattdessen Verfolgung durch die Staatssicherheit bis hin zu Bewährungsstrafen im Jahr der Auflösung für zwei Bandmitglieder. Aus der Asche von Paranoia und den zeitweise parallel existierenden Suizid entstand später die Post-Punkkapelle Kaltfront, welche allerdings ab 1987 eine Einstufung erhielt und öffentlich auftreten durfte. Einige Songs von Paranoia leben im Repertoire der Band übrigens bis heute weiter.

Paranoia veröffentlichten in ihrer kurzen Schaffensphase einzig das legendäre TapeHere We Are For Everyone Who Needs A Kultband im Jahr 1984, welches auch Aufmerksamkeit im westlichen Ausland erregte. 2007 wurde es dann über Rundling und Majorlabel erstmals unter dem naheliegenden Namen 1984, wenn auch nicht ganz komplett, auf Vinyl gebracht. Nachträglich gemastert wurde 2007 wohl auch, allerdings ist die Scheibe soundtechnisch immer noch unglaublich roh und nichts für harmonieverliebte Musikschüler*innen. Hier werden die damals ungleichen Möglichkeiten bei den Aufnahmen im Vergleich zum Westen sehr deutlich, machen aber auch den Charme der natürlich auch in puncto Quantität unterlegenen Punkgruppen aus dem Osten aus. So rau wie Schleim-Keim, L’attentat oder eben Paranoia klang Punk von „drüben“ nie. Das oft unsauber gespielte Geschrammel der absolut abgefuckten und zerstörten Gitarre ist sehr vordergründig und bildet zusammen mit dem dumpfen Geschepper der Drums nicht immer eine Einheit. Diese gewisse musikalische Unzugänglichkeit trägt eben allerdings auch zur unfassbaren Authentizität der einzelnen Songs bei. Hinzu kommen die deutschsprachigen Texte, welche mit prägnantem Gesang derbe und angepisst interpretiert wurden und somit das Lebensgefühl einer rebellierenden Subkultur direkt und intensiv umreißen. Oft wird dabei eher geschrien, allerdings gibt es auch einige Tracks wo man durchaus von Gesang sprechen kann. Neben rar gesäten unbeschwerlich wirkenden Tracks wie Pogoking oder Coschützer, kanalisiert man in den allermeisten Songs Wut und Trauer über die Zwänge einer autoritär geprägten Leistungsgesellschaft und einer staatlich genormten Lebenswelt. Mal kämpferisch wie in Jetzt oder nie, Paranoia und Lebenszeitverzögerung, oft aber eher melancholisch wie in Nachts in den Strassen, Gelangweilt oder Schweigen. Ein an Blitzkriegs Frisch aus Englandangelehnters Lied ist mit Frisch aus Ungarn auch vorhanden.

Jetzt hätte ich nach all dem Lob zur Platte fast rumgemeckert, weil hier 8 Songs des '84er Tapes fehlen, aber dann stieß ich im Proud To Be Punk Zine #32 auf die Info, dass diese auf einer separaten EP untergebracht wurden, welche auf 100 Stück limitiert ist. Schöner Scheiß. Das hab ich mal wieder nicht mitgeschnitten und das Ding war sicher ziemlich schnell vergriffen. Zur Sicherheit hab ich dann kurzerhand und hoffungsvoll doch nochmal Rundling kontaktiert, bei denen tatsächlich noch zufällig ein Exemplar rumlag. Meine Freude war riesig, das Ding doch noch abgegriffen zu haben, aber meckern möchte ich eigentlich trotzdem, denn das mach ich im Allgemeinen ganz gerne. Dat wär ja wohl nicht zu viel verlangt die gleiche Anzahl an EP’s zu pressen oder wat? Jetzt wittern doch die ganzen Profi(t)punks wieder ihre Chance und verkaufen das Teil zu unverschämten Preisen, wahrscheinlich auch noch ohne vorher reinzuhören. Bei Discogs ging das Ding schon wieder für 30 Tacken weg. Neh, neh, neh.

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